Vers
 VEDA 
jñānena tu tad ajñānam yeṣāṃ nāśitam ātmanaḥ | teṣām ādityavaj jñānaṃ prakāśayati tat param
„Wie die Sonne Dunkelheit vertreibt und alles erleuchtet, so zerstört göttliches Wissen Unwissenheit und enthüllt die transzendentale Absolute Wahrheit.“ — Bhagavad-Gītā 5.16    

Der folgende Text ist ein Auszug aus Teil 1 einer dreiteiligen Mahabharata-Zusammenfassung, die als Ebook und PDF erworben werden kann beim Atmarama-Shop, Amazon und anderen Händlern.

Mahābhārata – Juwel der Poeten

TEIL I: Die Geschichte der Pandavas

1. Vorgeschichte

Der erste Teil dieses Buches beinhaltet eine Zusammenfassung der Hauptgeschichte des Mahābhārata, die in der Schlacht von Kuru-kshetra gipfelt. Suta Gosvami erzählt einer Gruppe von Weisen, die irgendwo im Wald von Naimisharanya ein langjähriges Opfer ausführen, das Mahābhārata. Er selbst hörte das große Bharata von Vaishampayana, einem Schüler des erhabenen Dvaipayana Vyāsa, am Hofe König Janamejayas, dem letzten großen vedischen Herrscher der Kuru-Dynastie.

„Duryodhana ist ein großer Baum übler Leidenschaften. Karna ist sein Stamm, Shakuni seine Äste, Duhshasana seine Blüten und Früchte und Dhritarashtra seine Wurzel.
Yudhishtira ist ein großer Baum der Rechtschaffenheit. Arjuna ist sein Stamm, Bhima seine Äste, die Söhne Madris seine Blüten und Früchte, und Kṛṣṇa und Religion und alle Brahmanas sind seine Wurzel.“     — Adiparvan, Kap. 1, Vers 65-66

Im Wald von Naimisharanya

Suta Gosvami, der Sohn des Weisen Romaharshana, war weithin berühmt für sein Wissen von den heiligen Geschichten der Welt, den Purāṇas. Einst wanderte er zum heiligen Wald von Naimisharanya, wo der gelehrte Shaunaka mit Hilfe von mächtigen selbstbeherrschten Weisen ein zwölfjähriges Opfer vollführte. Suta näherte sich den Heiligen, die in der Opferarena saßen, und mit geneigtem Kopf und mit gefalteten Händen erkundigte er sich nach ihrem Wohl und dem Fortschritt ihrer Entsagungen. Die Asketen des Waldes hießen ihn in ihrer Mitte willkommen, begierig die fesselnden Geschichten zu hören, die der Sohn Romaharshanas so gut kannte und boten ihm einen erhöhten Sitzplatz an. Als er Platz genommen hatte, reichten sie ihm Früchte des Waldes und einen Becher frischen Wassers. Dann sprach Shaunaka Rishi: „O lotosäugiger Suta, dürfen wir erfahren, welche heiligen Orte in Bharatavarsha du mit deiner Gegenwart gesegnet und welche heiligen Personen du auf deiner Reise getroffen hast? Bitte unterrichte uns über alles, was dir widerfahren ist.“

Das Schlangenopfer

Suta Gosvami erwiderte: „O ihr Rishis, kürzlich vollführte König Janamejaya, der eine große Seele unter den irdischen Herrschern und der würdigste Sohn Mahārāja Parikṣits ist, ein großes Schlangenopfer mit der Absicht, alle Schlangen der Welt im Feuer zu vernichten. Während der Opferzeremonie erzählte der große Muni Vaishampayana viele bedeutende Geschichten, die alle zusammen als das Mahābhārata bekannt sind, das er von seinem spirituellen Meister, dem erhabenen Dvaipayana Vyāsa, gehört hatte. Ich war einer der Zuhörer in der Versammlung. Danach besuchte ich verschiedene tirthas und kam schließlich zu dem Land Samantapañcaka, wo viele befähigte brāhmanas leben. An diesem Ort fand vor nicht allzu langer Zeit die große Schlacht zwischen den Kurus und den Pandavas und allen Königen der Erde statt. Dann begab ich mich nach Naimisharanya, um euch zu sehen, die ihr alle selbstverwirklichte Seelen seid.“

Die Weisen waren sehr begierig von Suta Gosvami über das Schlangenopfer und über das Mahābhārata zu hören und so fragte Shaunaka Rishi, der Sohn Romaharshanas, den weisen Suta: „Wie kam es zu diesem Schlangenopfer? Was war der Anlaß und mit welcher Absicht vollzog der Enkel Abhimanyus dieses Opfer?“

Suta Gosvami erzählte, dass König Janamejaya vom Rishi Uttanka angeregt worden war, ein Schlangenopfer zu vollziehen. Uttanka wollte Rache nehmen an einer naga1 namens Takshaka, weil er von Takshaka einmal in arge Schwierigkeiten gebracht worden war. Doch dies ist eine lange Geschichte und wir wollen hier nicht weiter darauf eingehen. So viel sei jedenfalls gesagt: Uttankas Rachegedanken stellten eine Ursache dar für das Schlangenopfer. Eine andere Ursache war Janamejayas Hass gegen Schlangen, der sich manifestierte, als er von Uttanka erfuhr, wie sein Vater, Mahārāja Parikṣit, getötet worden war.

Parikṣit war einst während einer Jagd müde und durstig am aśrama des Weisen Śamika vorbeigekommen. Der Weise saß in Meditation versunken vor seiner Hütte und rührte sich nicht, um seinen königlichen Gast gebührend zu empfangen oder ihm wenigstens etwas Wasser anzubieten, wie es in der vedischen Kultur Sitte ist. Verärgert über das Verhalten des Rishis, hängte der König ihm mit dem Ende seines Bogens eine tote Schlange um den Hals und verließ den Ort. Wenig später kam Śringi, der Sohn des Weisen, nach Hause und sah seinen Vater mit der Schlange um den Hals auf seinem Hirschfell sitzen. Śringi war noch ein Knabe, aber er besaß schon mystische Kräfte, die man durch Bußen und Entsagungen erlangt. Dadurch war es ihm möglich zu erkennen, wer seinem Vater diese Beleidigung zugefügt hatte. Und weil er noch sehr unreif war, wurde er zornig und verfluchte den König für diese Tat, innerhalb von sieben Tagen von dem Schlangenkönig Takshaka gebissen zu werden. Als Śamika seine Meditation beendet hatte und erfuhr, was Śringi getan hatte, war er sehr betrübt über die fatale Handlungsweise seines Sohnes. Parikṣit war ein guter König, der die Welt im Einklang mit dharma, den göttlichen Gesetzen, regierte, und einen solchen Herrscher wegen eines geringfügigen Vergehens mit dem Tod zu bestrafen, war ein unwürdiger Akt für ein Mitglied der Brahmana-Gemeinde. Deshalb unterwies der Weise seinen Sohn über den wahren Reichtum der brāhmanas, nämlich Vergebung.

Eine weitere Ursache des Schlangenopfers war ein Fluch, den Kadru, die ursprüngliche Mutter aller Schlangen, gegen ihre eigenen Kinder verhängt hatte, weil sie sich geweigert hatten, ihr bei einer betrügerischen Aktion behilflich zu sein. Verbunden mit dieser Geschichte aus alter Zeit erzählte Vaishampayana von der Geburt und der Herrlichkeit des mächtigen Garuda, des Königs unter den Vögeln, der Śri Vishnu als Reittier dient, und er erzählte die Geschichte des brāhmana Astika, der das Schlangenopfer beendete und so Takshaka und andere Schlangen vor dem Feuertod rettete. Bei dem Schlangenopfer wurden alle Arten von Schlangen – und zwar nicht nur von diesem Planeten – von erfahrenen Opferpriestern durch mantras gezwungen, in ein großes Opferfeuer zu fallen und ihr Leben zu lassen. Takshaka hatte allerdings Glück. Als er schon über dem Feuer schwebte, erschien der brāhmana Astika auf der Szene und bat den König, ihm einen Wunsch zu erfüllen. Janamejaya willigte ein, und Astika wünschte sich, dass der König das Schlangenopfer einstellen möge.

Shaunaka Rishi, der beste unter den versammelten Weisen von Naimisharanya, bat Suta Gosvami von dem Gespräch zwischen König Janamejaya und Vaishampayana Muni zu erzählen. Suta Gosvami gab eine kurze Zusammenfassung vom Mahābhārata, der Geschichte der Pandavas. Weil die Rishis sich nicht ganz zufriedengestellt fühlten sagte Shaunaka: „O Suta, wir sind nicht zufrieden damit, das Bharata in einer Nussschale zu hören. Bitte berichte ausführlich über alles, was du gehört hast. Bitte erzähle diese heilige und sündenreinigende Geschichte ganz und im Detail.“

Wir können das große Werk Mahābhārata leider auch nur in einer „Nussschale“ präsentieren. Wir hoffen aber, dass der Leser dennoch reichen Gewinn aus dem Studium dieser auf die Essenz gekürzten Präsentation ziehen wird.

Die Geburt Satyavatis

Suta Gosvami erzählte dann als erstes – nicht zuletzt um dem Autor des Bharata gebührenden Respekt zu erweisen – von der ungewöhnlichen Geburt Satyavatis und der ebenso ungewöhnlichen Geburt ihres Sohnes Vyāsa, den sie auf einer Insel in der Yamuna gebar und der deshalb den Beinamen Dvaipayana („Insel-geboren“) erhielt.

An jenem Tag, als der fromme König Uparicara, ein Nachkomme in der Linie Kurus, sich mit seiner jungen schönen Frau Girika vereinigen wollte, um einen guten Sohn zu erhalten, erschienen seine pitrs (Ahnen) vor ihm und baten ihn, für sie eine Opferung durchzuführen, mit einem Tier, das er im Wald erlegen sollte. Der König dachte sich, „das kommt mir zwar sehr ungelegen, aber was kann ich tun? Den pitrs sollte man gehorchen“. Während der Jagd dachte er nur an Girika, und als er sich etwas müde geworden unter einen Ashoka-Baum setzte, waren seine sehnsüchtigen Gedanken an das schöne Mädchen so groß, dass er ungewollt Samen abgab. Er fing ihn auf einem Blatt des Baumes auf und überlegte, wie dieser Samen zu Girika gelangen könnte, bevor er sein Werk für die pitrs ausgeführt haben würde. Dieser Same trug die Erbmasse einer großen Dynastie hochqualifizierter Kshatriya-Könige und sollte in seiner guten Frau eine Frucht hervorbringen. Auf dem Baum saß ein Falke, und da der König ein guter Falkner war und auch die Sprache der Falken verstand, trug er ihm auf, diesen Samen zu Girika zu bringen. Auf dem Weg zur Königin jedoch wurde der Vogel über der Yamuna von einem anderen Falken angegriffen, der das, was Uparicaras Falke im Schnabel trug, für eine Beute hielt. Sie kämpften in der Luft gegeneinander und dabei fiel der Same in den Fluss. Ein Fisch aß ihn auf. Dieser Fisch war eine apsara, die verflucht worden war, als ein Fisch zu leben. Nach neun Monaten geschah es, dass sie ein paar Fischern ins Netz ging, die ganz erstaunt waren, als sie das Tier aufschnitten und aus dem Bauch zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen, herauskamen. Sie brachten die Kinder zu König Uparicara und der König behielt den Jungen und gab das Mädchen dem König der Fischer, weil von ihr ein starker Fischgeruch ausging. Der Fischerkönig nannte das Kind Satyavati.

Die Geburt Dvaipayana Vyāsas

Als Satyavati etwas herangewachsen war, übernahm sie die Aufgabe, Personen in einem Boot von einem Ufer der Yamuna zum anderen zu bringen. Eines Tages zog der junge Rishi Parashara an der Yamuna entlang. Er war eine unter allen Heiligen hochgeachtete Persönlichkeit und ihm war aufgetragen worden, einen göttlichen Sohn zu zeugen, der den einen Veda vierfach unterteilen würde, damit zukünftige Generationen menschlicher Rassen auf der Erde und auf anderen Planeten einen leichteren Zugang zur spirituellen Wissenschaft haben würden, durch die man die Bande materieller Natur transzendiert und Unsterblichkeit erlangen kann. Als er das Mädchen sah, wusste er, dass nur sie die geeignete Mutter für diesen Sohn sein könnte. Er konnte auch sehen, wer ihre wirklichen Eltern waren. Parashara bestieg Satyavatis Boot und während sie ruderte, offenbarte er ihr seine Mission und bat sie darum, von ihm einen göttlichen Sohn zu empfangen.

Satyavati erwiderte besorgt um ihre Ehre und in Furcht vom Rishi verflucht zu werden, wenn sie seinem Willen nicht gehorchte: „O Ehrwürdiger, ich bin eine Jungfrau und stehe unter dem Schutz meines Vaters. Wie kann ich außerdem deine Umarmungen annehmen, da jene Rishis, die dort am anderen Ufer des Flusses stehen, uns sehen können?“ Daraufhin schuf Parashara Muni durch seine mystische Kraft einen dicken Nebel. Immer noch in Furcht vor den Konsequenzen einer Vereinigung mit dem Muni, sagte Satyavati: „Was wird mein Vater sagen, und wer wird mich dann noch zur Frau nehmen, wenn ich deinem Willen gehorche?“

Parashara antwortete: „Mach dir keine Sorgen, du wirst wieder eine Jungfrau sein!“ Er gewährte ihr auch eine Segnung und Satyavati wünschte sich, einen wohlduftenden Körper zu besitzen. Dann ließ er sie zu einer Insel in der Yamuna rudern und zeugte mit ihr Vyāsadeva. Vyāsa wurde wie die Devas kurz nach der Empfängnis geboren und wuchs in wenigen Augenblicken zu jugendlicher Größe heran. Sogleich setzte er sein Herz an die Ausübung von tapasya (Entsagung) und verließ seine Mutter. Im Gehen erklärte er ihr, dass sie an ihn denken solle, wenn sie seine Hilfe bräuchte; er würde dann sofort zur Stelle sein. An einem heiligen Ort im Himavat nahm er lange Zeit Härten und Entsagungen auf sich und stellte die Vedas zusammen und als fünften Veda das Mahābhārata.

Die Söhne Ditis und Aditis

Als nächstes berichtete Suta Gosvami, was er von der Geburt der großen Helden im Mahābhārata von Vaishampayana gehört hatte. Er erzählte von Parashurama, der Kriegerinkarnation Vishnus, und dann von der Zeit, als die daityas von den adityas (Devas) von den himmlischen Planeten vertrieben worden waren und sich auf der Erde inkarniert hatten.

Suta Gosvami erzählte von den Söhnen des aus dem Nabel Vishnus geborenen vierköpfigen Brahmā und wie das Universum mit Lebewesen gefüllt worden war. Wenn nach einer Auflösung der materiellen Welten die Universen aufs neue durch den Willen des Höchsten entstehen, geht der Höchste Herr in seiner Vishnu-Form in jedes Universum ein. Jedes Universum ist zur Hälfte mit Wasser gefüllt und auf diesem Ozean legt Vishnu sich nieder. Dann lässt er aus seinem Nabel einen Lotos sprießen und aus der Blüte wird Brahmā geboren, der dann, von Vishnu ermächtigt, die weitere Schöpfung vornimmt, die Planeten erschafft usw. und das Universum mit Lebewesen bevölkert. Śri Vishnu offenbart Brahmā das vedische Wissen im Herzen und der Großvater des Universums unterrichtet dann seine Söhne darin, die es wiederum an ihre Söhne und Schüler weitergeben. Auf diese Weise werden die Vedas den Lebewesen schon vom Anfang der Schöpfung zu ihrem Nutzen mitgegeben.

Die Vedas sind eine Art göttliches Gesetzbuch, das die Richtlinien für zivilisiertes menschliches Leben festsetzt und ihren Befolgern glückliche Lebensumstände garantiert. Letztlich zielen die Vedas aber darauf ab, den ewigen Lebewesen Wissen zu geben, durch welches Unwissenheit zerstört wird und durch das sie aus dem Kreislauf von Geburt und Tod befreit werden können. Aufgrund der bezaubernden Kraft der materiellen Natur (māyā) identifizieren sich die ewigen Lebewesen mit ihren jeweiligen zeitweiligen Körpern. Sie vergessen ihre wahre spirituelle Natur und versuchen stattdessen unter dem Zauberbanne māyās die Reichtümer der Natur auszubeuten und die materielle Natur zu beherrschen. Wegen dieser Neigung leiden die Lebewesen immer wieder die Qualen von Geburt, Alter, Krankheit und Tod. Die Vedas sind ein Ausdruck der Barmherzigkeit des Höchsten Herrn, weil durch ihre spirituellen Unterweisungen das Lebewesen von diesem unnatürlichen Zustand fortwährender Wiedergeburt befreit werden kann.

Diejenigen, die den Anweisungen der Vedas folgen und die Oberhoheit Vishnus anerkennen, werden als suras oder Devas, Halbgötter oder Gottgeweihte bezeichnet, und diejenigen, die diese Weisungen missachten und nach ihren eigenen Launen handeln und sich ihre eigenen Götter und Gesetze fabrizieren, werden als daityas oder asuras oder Dämonen bezeichnet. Ein Halbgott kann durchaus in die Mentalität eines Dämons verfallen, während ein Dämon durch Gemeinschaft mit reinen Gottgeweihten ebenfalls ein Gottgeweihter werden kann.

Brahmā erschuf die ersten Lebewesen aus seinem Geist. Einer seiner ersten Söhne war Marici. Marici hatte einen Sohn namens Kashyapa. Kashyapa heiratete Diti und Aditi. Aditi brachte zwölf Söhne zur Welt, die als adityas bezeichnet werden und zu denen auch Surya, der Sonnengott und Indra, der Himmelskönig, gehören. Die adityas und ihre Nachkommen sind Halbgötter, während die daityas, die Söhne Ditis, und die Nachkommen der daityas in der Regel atheistische Dämonen sind. Es gibt aber auch Ausnahmen. Die Dämonen bevölkerten die unteren Planetensysteme und die Halbgötter die höheren Planeten. Manchmal ziehen die asuras gegen die Devas in den Krieg, und manchmal gelingt es ihnen dabei, das himmlische Königreich zu erobern und die Devas zu vertreiben. Den letzten Sieg über die Halbgötter erlangten die daityas unter der Führung von Bali Mahārāja. Bali wurde aber seiner Herrschaft über die drei Welten (höhere, mittlere und untere Planetensysteme) durch einen Trick Vishnus (Śri Vamanadeva) beraubt, damit Indra seinen Posten als Himmelskönig wieder einnehmen konnte.

Devas und Asuras inkarnieren sich auf der Erde

Nach Balis Sturz flohen die asuras und suchten – sich in großer Zahl unter Menschen und Tieren inkarnierend – auf der Erde Zuflucht und machten sie zu ihrer Basis für eine neue Attacke gegen die Devas. Mit der Zeit wurden die asuras eine untragbare Bürde für Mutter Erde und so begab sie sich in Form einer Kuh zu Brahmā und bat ihn mit Tränen in den Augen um Hilfe. Brahmā konnte Mutter Erde zwar nicht direkt helfen, aber er wandte sich an Śri Vishnu, und die Gottheit versprach, zu gegebener Zeit in der Vrishni-Dynastie zu erscheinen und die Erde von ihrer Last zu befreien. So nahm der Höchste Herr, Krishna, in seiner ursprünglichen Gestalt in Mathura als der Sohn Devakis und Vasudevas Geburt, um die Frommen vor den gottlosen asuras zu beschützen, die asuras zu töten und um die in Vergessenheit geratenen Prinzipien wahrer Religion wieder zu verkünden. Der Herr vollführte seine Kindheitsspiele in dem Kuhhirtendorf Vrindavana2 und ließ später die Stadt Dvaraka erbauen, wo er 16108 Königinnen heiratete, sich in genauso viele Formen erweiterte und mit jeder Königin in einem großen Palast lebte. In Dvaraka spielte Krishna die Rolle eines vollkommenen Kshatriya-Königs. Zu der Zeit als Krishna erschien, inkarnierten sich auch viele Devas, um am līlā, den transzendentalen Spielen des Herrn, teilzunehmen.

Vaishampayana erzählte dann, als was die großen Devas und daityas sich auf der Erde inkarniert hatten. Um ein paar Beispiele zu nennen: Drona war eine Teilerweiterung Brhaspatis, des Gurus der Halbgötter; Ashvatthama war eine Teilerweiterung Yamas, Kamas, Krodhas und Mahādevas. Krpa war eine Teilerweiterung der Rudras (elf Erweiterungen Shivas); Shakuni war Dvapara (Herr des dvāpara-yuga); Satyaki war eine Teilerweiterung der Maruts, ebenfalls Drupada, Krtavarman und Virata. Duryodhana war Kali (Herr des kali-yuga), und Duryodhanas Brüder waren Söhne Pulastyas. Varcas, der Sohn Somas (Halbgott des Mondes), wurde Abhimanyu, der Sohn Arjunas. Der aus dem Feuer geborene Dhrishtadyumna war eine Teilerweiterung Agnis (Halbgott des Feuers). Pradyumna, einer der Söhne Krishnas, war der berühmte himmlische Rishi Sanat-kumara. Draupadi war eine Erweiterung Lakshmis (die Glücksgöttin) und Sacis (Gemahlin des Himmelskönigs). Der danava Vipracitti inkarnierte sich als Jarasandha und Ajaka, der jüngere Bruder Vrishaparvans, als Shalva. Ekacakra hatte als Prativindhya, Sohn Yudhishtiras, Geburt genommen, Samhrada, der jüngere Bruder Prahradas, als Shalya und Anuhrada als Dhrishtaketu. Der asura Bashkala wurde der mächtige Bhagadatta, der in der großen Schlacht ein Verbündeter Duryodhanas war und auf einem riesigen weißen Elefanten reitend, die Reihen der Kurus dezimierte. Kamsa und Shishupala, die beide noch vor der Schlacht von Kurukshetra von Krishna getötet wurden und so Befreiung erlangten, waren der danava Kalanemi und Hiranyakashipu.3

Die Dynastie der Kurus

Vaishampayana sprach hiernach von der Dynastie der Kurus, angefangen mit dem großen Herrscher Yayati. Yayati lebte vor langer Zeit, als die Menschen noch sehr viel älter wurden als heutzutage und war der Sohn des mächtigen Weltherrschers Nahusha. Nahusha hatte sogar eine lange Zeit die Position Indras inne, bis er aufgrund seiner Selbstherrlichkeit, seines Stolzes und seiner Vergehen gegen brāhmanas diese Position wieder verlor. Zwischen Brahmā und Nahusha liegen nur sieben Generationen. Man muss dabei allerdings bedenken, dass jede Generation Millionen von Jahren währte. Zurück zu Yayati. Er hatte fünf Söhne. Als dieser Herrscher durch einen Fluch Shukracaryas von Gebrechlichkeit überwältigt wurde, bat er seine Söhne einen nach dem anderen, ihm ihre Jugend im Austausch mit seiner Gebrechlichkeit zu geben, da sein Verlangen nach weltichen Genüssen noch nicht gesättigt war. Aber nur Puru, Yayatis jüngster Sohn, erklärte sich dazu bereit, seine Jugend zu opfern. Und als Yayati nach tausend Jahren erkannte, dass es kein Ende der Verlangen gibt, d.h. dass der Hunger nach Sinnengenuss niemals gesättigt werden kann, indem man die Begierden zu befriedigen sucht, gab er seinem jüngsten Sohn die Jugend zurück und sagte zu ihm: „O Bezwinger deiner Feinde, mit deiner Jugend habe ich die Freuden des Lebens genossen bis zum vollen Maß meiner Begierden, bis zu den Grenzen meiner Kräfte. Begierden werden jedoch niemals befriedigt durch entsprechende Handlungen. Im Gegenteil – wenn man Schritte unternimmt, um Begierden zu befriedigen, flammen sie nur noch mehr auf, wie ein Opferfeuer, auf das Butterfett gegossen wird. Wenn ein einziger Mann alles auf Erden besitzen würde – ihre Kornfelder, ihr Gold und Silber und ihre Edelsteine, ihre Tiere und Frauen – er wäre immer noch nicht zufrieden. Der Durst nach Genuss sollte deshalb aufgegeben werden.“ Dann ging Yayati in den Wald, um Bußen und Entsagungen auf sich zu nehmen. Puru wurde Thronerbe. Normalerweise wurde in der vedischen Zivilisation der älteste Sohn eines Königs dessen Nachfolger. Mehrere Generationen später wurde Dushyanta in dieser Dynastie geboren. Dushyanta zeugte mit Shakuntala Mahārāja Bharata.4

Einige Generationen nach Bharata wurde der mächtige tugendhafte Kaiser Samvarana geboren, der Tapati, eine Tochter des Sonnengottes Vivasvan zur Frau bekam und mit ihr Kuru zeugte, nach welchem die Dynastie benannt wurde, in der dann die Pandavas (Söhne König Pandus) und Dhartarashtras (Söhne Dhrtarashtras) erschienen. Kuru hatte vier Söhne. In der Linie seines Sohnes Jahnu erschien zehn Generationen später Pratipa und dessen Nachfolger war Shantanu.

Shantanu heiratet Ganga und zeugt mit ihr acht Söhne

Mahārāja Shantanu traf eines Tages im Wald die Göttin Ganga und bezaubert von ihrer Schönheit machte er ihr einen Heiratsantrag. Ganga willigte ein, seine Frau zu werden unter der Bedingung, dass Shantanu niemals ein hartes Wort gegen sie sagen dürfe, was immer sie auch tue und dass er sie niemals nach dem Grund ihrer Handlungen fragen dürfe. Wenn er sie auch nur einmal tadeln würde, wäre seine Zeit mit ihr abgelaufen. Mahārāja Shantanu zeugte mir Ganga acht Söhne, von denen sie jeden – außer den letzten – sofort nach der Geburt in den Ganges warf mit den Worten: „Ich tue, was du wolltest“. Shantanu war jedesmal sehr bedrückt, wenn seine Frau ein Neugeborenes in den Fluss warf, und als sie auch das achte Kind in den Ganges werfen wollte, konnte er sich nicht mehr länger zurückhalten und tadelte die Göttin mit harten Worten. Daraufhin sagte sie, dass gemäß ihrer Abmachung ihre Zeit mit ihm nun abgelaufen sei. Ganga offenbarte dem König ihre wahre Identität und erzählte ihm, dass die getöteten Kinder die Vasus genannten Halbgötter waren, die von dem großen Rishi Vasishtha verflucht worden waren, auf der Erde Geburt zu nehmen und sie als ihre Mutter und ihn als ihren Vater erwählt hatten und dass es der Wille der Vasus war, gleich nach der Geburt in den Ganges geworfen zu werden.

Die Vasus stehlen Vasishthas Kamadhenu-Kuh

Shantanu Mahārāja wollte mehr darüber wissen und Ganga erzählte folgende Geschichte: „Einst wanderten die acht Vasus mit ihren Frauen durch einen bezaubernden Wald am Rande des Berges Meru. In diesem Wald befand sich auch der aśrama Vasishthas, der ein Sohn Varunas, des Halbgottes der Gewässer war und dort große Entsagungen und Härten auf sich nahm, um Reinheit der Seele zu erlangen. Als die Vasus an diesem aśrama vorbeikamen, sahen sie die schöne kāmadhenu, die wunscherfüllende Kuh des Weisen. Sie war eine Tochter Kashyapa Munis und Surabhis, der berühmten Tochter Dakshas. Die kāmadhenu versorgte Vasishtha Muni mit allem, was er brauchte für seine Opferriten. Dyu, einer der Vasus, pries die Fähigkeiten der Kamadhenu und hob besonders hervor, dass ihre Milch Nektar sei, der dem Trinker ein langes Leben, frei von Krankheit und Gebrechlichkeit, gewähre. Dyus Gemahlin war sehr entzückt von der wundersamen Kuh. Und da ihr Besitzer gerade nicht zuhause war, bat sie ihren Ehemann mit geschickten schmeichelnden Worten, die kāmadhenu einfach mitzunehmen. Dyus Gattin hatte eine Freundin unter den Irdischen, die die Tochter des großen Königs Ushinara war. Ihr wollte sie die Kuh schenken, damit die Königstochter die Milch tränke und ebenso langlebig werden würde wie die Himmlischen, wie sie selbst. Dyu ließ sich von seiner Frau bereden und stahl Vasishthas schöne kāmadhenu. Als der Weise nach Hause kam, vermisste er seine Wunderkuh. Und obwohl Vasishtha sie überall im Wald suchte, fand er sie nicht. Dann wurde ihm durch sein spirituelles Auge gewahr, was sich zugetragen hatte und im Zorn verfluchte er die Vasus, auf der Erde Geburt zu nehmen.

In der Zwischenzeit waren die Vasus in ihrem Haus angelangt, und schon bald bemerkten sie, dass ein Fluch auf ihnen lastete. So begaben sie sich wieder zum aśrama Vasishthas und brachten ihm seine kāmadhenu zurück. Sie erwiesen ihm ihre Ehrerbietungen und baten ihn, seinen Fluch von ihnen zu nehmen. Der Muni sagte: „Ich kann diesen Fluch nicht zurücknehmen, denn meine Worte können sich niemals als unwahr erweisen.“ Da er aber Mitleid mit den Vasus hatte, versicherte er ihnen, dass sie alle, außer Dyu, schon innerhalb eines Jahres zu den himmlischen Regionen zurückkehren würden. Dyu sollte lange auf der Erde leben und er sollte – Glück im Unglück – als eine hochgeachtete Persönlichkeit, die mit allen Schriften vertraut und dem dharma hingegeben sein würde, gelten. Er würde auch um seines Vaters willen ehelos bleiben. Auf ihrem Rückweg trafen die Vasus mich, Ganga, und erzählten mir von ihrem Unglück. Sie baten mich, als ihre Mutter auf der Erde zu erscheinen und jeden gleich nach der Geburt in den Ganges zu werfen, um sofort wieder zur himmlischen Region zurückkehren zu können.“ Nachdem die Göttin diese Worte gesprochen hatte, verließ sie Shantanu zusammen mit dem neugeborenen Jungen, den sie Devavrata5 nannte.

Devavrata studierte die Vedas bei Vasishtha Muni. Als Devavrata schon nach wenigen Jahren in allen Zweigen des vedischen Wissens bewandert und ein großer Krieger geworden war, brachte seine Mutter ihn zurück zu Shantanu.

Devavratas Schwur

Einige Zeit später heiratate der König Satyavati, die Mutter Śrila Vyāsadevas. Als Shantanu den Nishada-König um ihre Hand bat, machte er zur Bedingung, dass Satyavatis Söhne Thronfolger werden sollten. Der Herrscher der Erde akzeptierte die Bedingung nicht, da Bhishma rechtmäßig sein Nachfolger war und begab sich betrübt wieder nach Hause. Um seinen Vater zu helfen, ging Bhishma zum Nishada-König und nahm vor ihm den Schwur auf sich, auf sein Thronrecht als ältester Sohn Shantanus zu verzichten und niemals in den grhasta-aśrama (Haushalter-Lebensstand) einzutreten. d.h. mit anderen Worten, er würde keine Söhne bekommen können, die Satyavatis Sohn vielleicht den Thron streitig machen könnten. Bei seinem Schwur ließen die Halbgötter Blumen regnen und riefen erfreut: „Bhishma, Bhishma soll er heißen!“ Bhishma bedeutet „jemand, der einen furchtbaren Eid geleistet hat“. Shantanu gab Bhishma aus Dank die Segnung, seinen Tod selbst bestimmen zu können.

Citrangada und Vicitravirya

Satyavati gebar dem Kaiser zwei Söhne, Vicitravirya und Citrangada. Als seine beiden Söhne erwachsen waren, nahm Mahārāja Shantanu, nachdem er 36 Jahre lang die Welt regiert hatte, vānaprastha an; er zog sich in den Wald zurück, um den Rest seines Lebens Bußen und Entsagungen auf sich zu nehmen und sich aufs nächste Leben vorzubereiten. Shantanu war ein idealer König, ein Heiliger unter den Herrschern. Während seiner Regierungszeit führten die Menschen ein glückliches gesundes Dasein. Gleich ihrem erhabenen König, ihrem großen Vorbild, waren ihre Gedanken und ihr Trachten auf das eine große Ziel der Zufriedenstellung und Verehrung des kosmischen Erhalters, Śri Vishnu, gerichtet, und sie erfüllten ihre jeweiligen Pflichten in den varnas und aśramas mit Freude. Die brāhmanas leiteten die Könige auf dem Pfad des dharma und lehrten das vedische Wissen; die kṣatriyas gehorchten den brāhmanas und beschützten die Bürger, einschließlich der Tiere, Vögel und anderer Lebewesen; die vaiśyas beschützten insbesondere die Kühe und erzeugten genügend Nahrungsmittel für die ganze Gesellschaft, und die shudras assistierten mit ihrer Arbeit den anderen Klassen. Shantanu war so mächtig und so voller guter Eigenschaften, dass ihn alle anderen Könige ganz von selbst als den König der Könige akzeptierten.

Nachdem Shantanu sich zurückgezogen hatte, übernahm Citrangada die Position seines Vaters. Aber seine Herrschaft währte nicht lange, denn er wurde von einem Gandharva gleichen Namens zu einem Wettkampf herausgefordert. Sie kämpften vier Jahre lang gegeneinander, und am Ende siegte der Gandharva durch seine größeren mystischen Kräfte über den seinerzeit mächtigsten kṣatriya der Erde. Danach ließ Bhishma den noch minderjährigen Vicitravirya als Thronfolger einweihen.

Bhishma raubt die Prinzessinen von Koshala

Einige Jahre später, als der Knabe zu einem stattlichen Jüngling herangewachsen war, kümmerte sich der Sohn Gangas persönlich um die Vermählung Vicitraviryas. Als Bhishma erfuhr, dass die drei apsaragleichen Prinzessinnen von Koshala – Ambha, Ambika und Ambalika – bei einer svayamvara6 ihren Bräutigam wählen würden, entschloss er sich, sie für Vicitravirya zu rauben. Zu der svayamvara hatten sich tausende von Kshatriya-Königen eingefunden. Und noch bevor all ihre Namen verlesen worden waren, entführte Bhishma die jungen Prinzessinnen vor den Augen der mächtigen kṣatriyas. Sie verfolgten ihn und ließen ihre Pfeile auf ihn herabregnen, aber dem Meister der Waffenkunst waren sie nicht gewachsen. Schließlich kehrten sie um, und Bhishma brachte die schönen Königstöchter ungehindert nach Hastinapura.

Eine der Prinzessinnen, nämlich Ambha, war nicht damit einverstanden, die Gemahlin Vicitraviryas zu werden, denn sie hatte ihren Gemahl bereits gewählt. Sie wollte Shalya, den König von Madras, heiraten. Bhishma brachte sie deshalb zu Shalya, der Ambha jedoch zurückwies, weil sie schon von einem anderen (Bhishma) berührt worden war. Daraufhin bat Ambha Bhishma, sie zu heiraten. Bhishma konnte ihrem Wunsch jedoch nicht nachkommen, weil er durch das Gelübde, lebenslänglich das Zölibat einzuhalten, gebunden war.

Die Prinzessin war darüber sehr verstört und begab sich in den Wald. Dort traf sie Parashurama, der der Waffenlehrer Bhishmas war. Sie klagte ihm ihr Leid und er versprach, ihr zu helfen. Parashurama forderte Bhishma auf, Ambha zur Frau zu nehmen. Bhishma weigerte sich strikt. Das machte Parashurama so zornig, dass er Bhishma töten wollte. Śri Parashurama ist die Kriegerinkarnation des Höchsten Herrn, die erschien, um die gesamte Kshatriya-Rasse der Erde viele Male hintereinander zu vernichten, weil die kṣatriyas ihre Macht missbrauchten und sich schwer gegen die brāhmanas vergingen. Bhishma und Parashurama kämpften dreiundzwanzig Tage gegeneinander, doch konnte keiner den anderen besiegen. Ambha fasste dann den Entschluss, harte Entsagungen auf sich zu nehmen, um von Shiva die Segnung zu bekommen, Bhishma töten zu können. Als der mächtige Shiva mit der Ausführung ihrer harten Askese zufrieden war, gewährte er ihr die Segnung, in ihrem nächsten Leben die Ursache von Bhishmas Tod zu werden.

Vyāsadeva zeugt Pandu, Dhrtarashtra und Vidura

König Vicitravirya ist das Beispiel für einen Menschen, der sich das Leben durch exzessiven Genuss verkürzt. Er vergnügte sich sieben Jahre lang ununterbrochen mit seinen beiden Frauen und starb als Folge davon schließlich an Schwindsucht.

Um die Kuru-Dynastie fortzuführen, zeugte Vyāsadeva, der Bruder Citrangadas und Vicitraviryas, auf Bitten seiner Mutter mit Ambika einen Sohn. In der vedischen Kultur war es erlaubt, dass der Bruder eines Mannes mit dessen Ehefrau ein Kind zeugen durfte, wenn die Frau von ihrem Ehemann kein Kind haben konnte. Vyāsadeva war ein in Lumpen gekleideter Asket mit verfilzten Haaren. Da er das Gelübde auf sich genommen hatte, sich ein Jahr lang nicht zu waschen, ging von seinem Körper ein für empfindsame Prinzessinnennasen nicht gerade angenehmer Geruch aus. Als er sich Ambika näherte, schloss sie die Augen, weil sie seinen Anblick nicht ertragen konnte. Dies führte dazu, dass ihr Sohn Dhrtarashtra blind geboren wurde. Satyavati bat Vyāsadeva, noch einmal einen Sohn zu zeugen, diesmal mit Ambalika. Ambalika wurde bleich als sie den Asketen sah, und so wurde ihr Sohn mit einer blassen Haut geboren und bekam den Namen Pandu, „der Blasshäutige“. Danach bat Satyavati den Heiligen ein drittes Mal, einen Sohn zu zeugen. Sie trug Ambika auf, den Rishi noch einmal in ihrem Gemach zu empfangen. Aber der Prinzessin war der Gedanke, sich mit dem hässlichen schmutzigen Asketen zu vereinigen, so zuwider, dass sie eine schöne Dienstmagd an ihrer Stelle Vyāsa empfangen ließ. Die Dienstmagd verhielt sich dem Weisen gegenüber sehr ehrfurchtsvoll und ergeben. Aus dieser Verbindung ging Vidura hervor, der später weltberühmt wurde für seine Weisheit und Gerechtigkeit.

Yamaraja wird vom Rishi Mandavya verflucht

Vidura war eine Teilerweiterung Yamarajas, des weisen Richters der Sünder. Es war Yamas Wunsch gewesen, an den transzendentalen Spielen Krishnas teilnehmen zu dürfen und durch die barmherzige Fügung des Höchsten Herrn wurde ihm dieser Wunsch erfüllt. Yamaraja hatte einmal dem Rishi Mandavya für eine grausame Tat, die dieser als ein Kind begangen hatte, eine übermäßig schwere Strafe auferlegt, woraufhin Mandavya ihn später verfluchte, auf der Erde Geburt zu nehmen.

Vaishampayana erzählte in diesem Zusammenhang die folgende Geschichte:
Mandavya Rishi, der stets der Ausübung schwerer tapasya hingegeben war, hatte einst ein Schweigegelübde auf sich genommen. Eines Tages, als er mit erhobenen Armen wie ein Pfahl in Meditation versunken vor seiner Hütte stand, kamen einige Räuber vorbei, die von den Ordnungshütern des Königs verfolgt wurden. Sie versteckten sich hinter dem Haus des Rishis. Als die Polizisten kamen und den Rishi fragten, wo die Räuber hingelaufen seien, gab er natürlich keine Antwort. Die Leute fanden die Räuber schließlich, und weil sie dachten, Mandavya würde mit ihnen unter einer Decke stecken, schleppten sie ihn zusammen mit den Dieben zur Stadt des Königs. Die Diebe wurde auf Holzpfähle aufgespießt und so auch der unschuldige Rishi, der nicht von seinem Gelübde abwich und nichts unternahm, um der Bestrafung zu entgehen. Die Diebe starben schließlich, aber der Rishi blieb am Leben.

Als einige andere Rishis von Mandavyas leidvollem Zustand erfuhren, begaben sie sich zu ihm und trösteten ihn und gingen dann zum König. Der König war sehr erschreckt, als er hörte, dass ein brāhmana gepfählt worden war und begab sich mit den Rishis zusammen zu ihm, um vor seinen Füßen niederzufallen und ihn um Vergebung zu bitten. Mandavya nahm dem König diese Bestrafung nicht übel, weil er sich darüber im klaren war, dass er diese Qualen aufgrund einer vergangenen sündhaften Handlung zu ertragen hatte. Die Leute des Königs versuchten, den angespitzten Pfahl aus dem Körper des Weisen zu ziehen, aber es gelang ihnen nicht – der Pfahl brach ab und die Spitze steckte immer noch in seinem Körper.

Als Mandavya seinen Körper aufgab, wurde er zu einem himmlischen Planeten erhoben. Eines Tages besuchte er Yamaraja und fragte ihn, für welche Sünde er so hart bestraft worden war, und der Herr der Gerechtigkeit sagte ihm, dass er einmal in seiner Kindheit ein Insekt auf einem Strohhalm aufgespießt habe. Weil der Rishi diese Strafe für unangemessen hart hielt, verfluchte er Yamaraja, auf der Erde Geburt zu nehmen.

Mahārāja Pandu tötet Kindama und wird von ihm verflucht

Als Pandu zu einem Jüngling herangewachsen war, wurde er als Thronfolger Vicitraviryas eingesetzt. Er heiratete zwei Frauen, Pritha, auch Kunti genannt, die die Tochter König Kuntibhojas war und Madri, die Tochter des Königs von Madras. Der blinde Dhrtarashtra heiratete Gandhari, die Tochter des Königs von Gandhara, und Vidura erhielt die Tochter König Devakas zur Gemahlin. Bald nach seiner Hochzeit unterwarf König Pandu mit seinem Heer die Könige der Erde. Dann zog er sich mit seinen beiden Frauen in den Wald zurück, da ihm am opulenten Palastleben in Hastinapura nicht viel gelegen war und da er außerdem ein leidenschaftlicher Jäger war. Eines Tages tötete er aus Versehen auf der Jagd den Rishi Kindama. Der Rishi und seine Frau hatten die Form eines Hirschpaares angenommen, und waren gerade damit beschäftigt, sich geschlechtlich zu vereinigen, als Kindama vom Pfeil Pandus getroffen wurde.7 Bevor der Rishi starb, verfluchte er Mahārāja Pandu, ebenfalls dann zu sterben, wenn er sich mit seiner Frau vereinigt.

Anmerkungen

1 Nagas sind mächtige schlangenartige Lebenwesen, die über mystische Kräfte verfügen und z.B. verschiedene Formen annehmen können. Sie existieren hauptsächlich in Regionen unterhalb der Erde.

2 Ca. 200 km südlich von Delhi gelegen

3 Wer vom Höchsten Herrn persönlich getötet wird, erlangt Befreiung. Solche Gnade wird allerdings nur wenigen Dämonen zuteil.

4 Nicht zu verwechseln mit dem Sohn König Rishabhadevas, der den gleichen Namen trug.

5 „Jemand, der sich Gott verschworen hat“

6 Eine Zeremonie, bei der sich eine Prinzessin einen Bräutigam unter vielen Bewerbern aussucht oder viele kṣatriyas sich um die Hand einer Prinzessin bewerben

7 Sie hatten die Form einer Hirschkuh und eines Hirsches angenommen, um sich außerhalb eines für zivilisierte Menschen verbotenen Zeitpunktes der Kopulation zu vereinigen.

Mahabharata – Juwel der Poeten ist beim Atmarama Verlag erhältlich.