Vers
 VEDA 
jñānena tu tad ajñānam yeṣāṃ nāśitam ātmanaḥ | teṣām ādityavaj jñānaṃ prakāśayati tat param
„Wie die Sonne Dunkelheit vertreibt und alles erleuchtet, so zerstört göttliches Wissen Unwissenheit und enthüllt die transzendentale Absolute Wahrheit.“ — Bhagavad-Gītā 5.16    

Fünf Themen des Wissens

Fünf Themen des Wissens (tattva), die in Bhagavad-gītā und anderen vedischen Schriften behandelt werden, sind:

  1. karma (Tätigkeiten, Arbeit)
  2. kāla (Zeit)
  3. prakṛti (die materielle Natur)
  4. jīva (die individuelle Seele)
  5. īśvara (der Höchste Herr)

1. Karma

Karma kann dreifach unterteilt werden in karma, akarma, vikarma (und vierfach in karma, akarma, vikarma und ugra-karma).

Karma bezieht sich auf fromme Handlungen, das Erfüllen vorgeschriebener Pflichten (im varnāśrama-dharma) und Tätigkeiten, die nicht im Widerspruch stehen zu den in den Schriften vorgeschriebenen Regeln und Regulierungen für zivilisiertes menschliches Dasein im varnāśrama, dem vedischen Gesellschaftssystem. Solche Tätigkeiten erzeugen glückliche, günstige Lebensumstände.

Akarma bedeutet (1) Nichthandeln, Untätigkeit, (2) keine frommen Handlungen auszuführen, das Unterlassen von vorgeschriebenen Handlungen (Plichten im varnasrama-dharma), (3) aber auch Handlungen, deren Früchte man zum Höchsten Herrn opfert, werden akarma genannt.

Vikarma bedeutet verbotene oder sündhafte Handlungen, also Handlungen, die im Widerspruch stehen zu den Regulierungen der Schriften. Solche Tätigkeiten und auch unterlassene Pflichten erzeugen schwierige Lebensumstände, Unglück, Leid.

Zerstörerische Tätigkeiten, wie sie heute überall zu finden sind (Umweltzerstörung; Bombenattentate; Kriege; unmäßige Ausbeutung der Bodenschätze; fabrikmäßige Tierhaltung und Tierschlachten; das Herstellen, Vertreiben und Konsumieren von süchtigmachenden, degradierenden Berauschungsmitteln; etc. etc.), werden ugra-karma genannt. Ugra-karma führt zu höllischen Lebensbedingungen.

yajñārthāt karmaṇo 'nyatra loko yam karma-bandhanaḥ | tad-arthaṃ karma kaunteya mukta saṅgaḥ samācara
„Handlungen sollten als Opfer für Viṣṇu ausgeführt werden, andernfalls binden sie den Handelnden an die materielle Welt. Deshalb o Sohn Kuntis, führe deine vorgeschriebenen Pflichten zu Seiner Zufriedenheit aus. Auf diese Weise wirst du immer unangehaftet sein und frei bleiben von Bindung.“
— Bhagavad-Gītā 3.9

2. Kāla

„Der Zeitfaktor, der die Umwandlung der verschiedenen materiellen Manifestationen verursacht, ist ein weiterer Aspekt der Höchsten Persönlichkeit Gottes. Jeder, der nicht weiß, dass die Zeit die gleiche Höchste Persönlichkeit ist, fürchtet sich vor dem Zeitfaktor.“

— Śrīmad-Bhāgavatam 3.29.37

Kāla, der Zeitfaktor, die ewige Zeit, ist ein Aspekt des Höchsten Herrn. Zeit setzt die Schöpfung der materiellen Welt in Gang und vernichtet sie wieder. Zeit wird gemessen an Bewegung im Raum, angefangen mit der Bewegung von Atomen (die kleinste Zeiteinheit) bis hin zur Bewegung der Sonne im Universum. Die Sonne bewegt sich auf einer festgesetzten Umlaufbahn im Universum. Ein solcher Umlauf ist auf der Erde ein Jahr und ein Tag und eine Nacht auf den Planeten der Halbgötter. Die nächst größere Zeiteinheit ist ein catur-yuga (4.320.000 Jahre) bestehend aus vier yugas (sattva-, treta-, dvāpara-, kali-yuga), 1000 catur-yugas bilden ein kalpa oder einen Tag Brahmās, der Schöpfergottheit. Seine Nacht währt genauso lang. Brahmās Leben währt 100 Jahre. Wenn man diese Zahlen miteinander multipliziert erhält man die Dauer des Universums nach irdischer Zeitrechnung. Für Mahā-Viṣṇu währt Brahmās Leben so lang wie ein einziger seiner Atemzüge.

„Die ewige Zeit ist die Beherrscherin verschiedener Dimensionen, angefangen mit der des Atoms bis zu den ungeheuer langen Hälften der Lebenszeit Brahmās; nichtsdestoweniger wird sie vom Höchsten Herrn beherrscht. Die Zeit kann nur diejenigen beherrschen, die sich mit einem materiellen Körper identifizieren, selbst wenn sie auf Satyaloka oder anderen höheren Planeten des Universums leben.“

Śrīmad-Bhāgavatam 3.11.39

In der Zeit handeln die Lebewesen in der materiellen Welt und genießen oder erleiden die Früchte ihrer Handlungen. Im Mahābhārata sagt Indra, der König der himmlischen Planeten, zu Bali Mahārāja, nachdem er ihn in einer Schlacht zwischen Devas (Halbgötter) und daityas (Dämonen) besiegt, gefesselt und in eine Höhle geworfen hatte:

„Wahrlich, aufgrund deiner Seelenstärke bist du heute unbewegt in der Not. Welche Person würde noch Vertrauen in seinen Körper oder die Objekte des Verlangens setzen, nachdem sie die Flüchtigkeit aller Dinge im Universum erkannt hat? Wie du weiß auch ich, dass das Universum nicht ewig ist und dass es im Feuer der Zeit brennt. Jeder wird von der Zeit heimgesucht. Alle Dinge werden in der Pfanne der Zeit gebraten. Zeit hat keinen Meister. Zeit ist immer wachsam; niemand kann ihr entkommen. Wie die Strömung eines Flusses einen Baum wegwäscht, dessen Wurzeln sie erreicht, so fegt die Zeit denjenigen hinweg, der sagt ‚dies werde ich heute tun und das werde ich morgen tun‘. Zeit fegt einen hinweg und Männer rufen aus: ‚Ich hab ihn vor kurzem noch gesehen. Wie ist er gestorben?‘ Reichtum, Komfort und gute Position in der Gesellschaft – sie alle werden Opfer der Zeit. Zeit raubt allen Lebewesen ihr Leben. Allen Dingen, die stolz ihren Kopf heben, ist der Fall bestimmt. Das, was existiert, ist nur eine andere Form des Nicht-Existenten. Alles ist zeitweilig und unbeständig. Zeit ist stark und fegt alles hinweg ohne Unterschied. Jemand, der von der Zeit geschleift wird, ist sich nicht über die Schlinge bewusst, in der sein Hals steckt. Die Leute sind verwirrt von Eifersucht, Eitelkeit, Lust, Zorn, Furcht, Verlangen, Achtlosigkeit und Stolz. Du jedoch besitzt Weisheit und Entsagung. Du siehst die Zeit so klar wie ein Emblem auf deiner Hand.“

Und im Śrīmad-Bhāgavatam unterweist der Höchste Herr Devahuti mit den Worten:

„So wie eine Masse Wolken den mächtigen Einfluss des Windes nicht kennt, so kennt jemand, der in materiellem Bewusstsein tätig ist, nicht die mächtige Stärke des Zeitfaktors, von dem er fortgetragen wird.
Was immer der Materialist mit großer Mühe und Arbeit für sogenanntes Glück schafft, zerstört die Höchste Persönlichkeit Gottes als Zeitfaktor, und aus diesem Grunde klagt die bedingte Seele.
Der irregeführte Materialist weiß nicht, dass sein Körper vergänglich und dass die Anziehung zu Dingen wie Heim, Land und Reichtum, die in Beziehung zu diesem Körper stehen, ebenfalls vorübergehend ist. Aus Unwissenheit allein glaubt er, alles sei beständig.“

— Śrīmad-Bhāgavatam 3.30.1–3

3. Prakṛti

Der unmanifestierte Zustand der materiellen Energie wird pradhana genannt und der manifestierte Zustand prakṛti. Aus prakṛti, der materiellen Natur, gehen alle Dinge im Universum, alle Körper der Lebewesen hervor. Personifiziert ist diese Energie als Durga, Kālī u.a. bekannt. Prakṛti bedeutet „das, was genossen wird“. Das Gegenstück dazu ist puruṣa, der Herr und Genießer. Da die Lebewesen in der materiellen Welt versuchen die Manifestationen der materiellen Natur zu genießen, werden sie puruṣa genannt. Aus spiritueller Sicht sind sie jedoch ebenfalls prakṛti, da sie ihrer Natur nach Diener des Höchsten Herrn sind und nicht Genießer. Der Höchste Herr, die Persönlichkeit Gottes, ist der einzige und wahre puruṣa. Er schwängert prakṛti mit den spirituellen Seelen, indem er seinen Blick über sie wirft. Die Höchste Persönlichkeit Gottes hat keinen direkten Kontakt mit der materiellen Energie. In der Form Śivas vereinigt er sich mit Durga und erzeugt so die Lebewesen in der materiellen Welt und ihre Lebensbedingungen.

Prakṛti besteht aus 24 Elementen: 5 mahābhūtas (Erde, Feuer, Wasser, Luft, Raum), 5 Wissen erwerbende Sinne (Haut, Ohren, Augen, Nase, Mund), 5 Arbeitssinne (Hände, Beine, Genital, Rektum, Sprachorgan), 5 indriyārthas (Sinnesobjekte – Berührung, Klang, Form/Farbe, Geruch, Geschmack), ahaṅkāra (falsches Ego), buddhi (Intelligenz), manas (Geist), avyakta (das Unmanifestierte).

Prakṛti dient dem Höchsten Herrn, indem sie den spirituellen Seelen, die sich von Ihm abgewandt haben, eine Möglichkeit bietet, ihre falsches Bewusstsein, sie seien Herren und Genießer, zu korrigieren und in das spirituelle Reich Gottes zurückzugelangen, wo sie ihrer innersten Natur gemäß als Diener des Herrn handeln und mit Ihm genießen.

Wie aus pradhana die Umwandlungen der materiellen Energie hervorgehen, wird im Kapitel “Die Schöpfung der materiellen Welt“ beschrieben.

4. Jīva

Es gibt unzählige jīvas, spirituelle Seelen. Sie sind winzige Teilchen der Höchsten Seele, der Persönlichkeit Gottes. Jede individuelle Seele hat die Möglichkeit, sich entweder dem Höchsten Herrn zuzuwenden oder sich von Ihm abzuwenden. Das ist ihre Freiheit. Wenn sie sich von Ihm abwendet und getrennt von Ihm genießen möchte, gelangt sie in die materielle Welt und erleidet dort – als Folge seiner Taten, die aus dem unreinen Geist hervorgehen – immer wieder Geburt, Alter, Krankheit und Tod in verschiedenen Körpern. Diese Gefangenschaft in der materiellen Welt wird beendet, wenn sich die bedingte Seele mit geläutertem Bewusstsein dem Höchsten Herrn völlig ergibt, indem sie sich in Seinem tranzendentalen Dienst beschäftigt.

Im dritten Canto des Śrīmad-Bhāgavatam heißt es:

ahaṃ mamābhimānotthaiḥ kāma-lobhādibhir malaiḥ | vītaṃ yadā manaḥ uddham aduḥkham asukhaṃ samam |
tadā puruṣa ātmānam kevalaṃ prakṛteh paraṃ | nirantaraṃ svayaṃ-jyotir animānam akhaṇḍitam
„Wenn man völlig geläutert ist von den Unreinheiten von Lust und Gier, die aus der falschen Identifikation des Körpers als „ich“ und körperlichem Besitztümern als „mein“ hervorgehen, wird der Geist geläutert. In diesem reinen Stadium transzendiert er sogenanntes materielles Glück und Leid.
Dann kann die Seele sich selbst als transzendental zur materiellen Existenz erkennen und als immer selbstleuchtend, niemals getrennt, obwohl winzig in der Größe.“
— Śrīmad-Bhāgavatam 3.25.16-17

A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupāda erläutert diese Verse in seiner Übersetzung des Bhāgavatams folgendermaßen:

„Im Zustand des reinen Bewusstseins oder des Kṛṣṇa-Bewusstseins kann man sich selbst als ein winziges Teilchen sehen, das sich vom Höchsten Herrn nicht unterscheidet. Wie in der Bhagavad-gītā gesagt wird, ist der jīva, die individuelle Seele, ewig ein Teil und eine Einheit des Höchsten Herrn. So wie die Strahlen der Sonne winzige Teilchen der strahlenden Natur der Sonne sind, so ist ein Lebewesen ein winziges Teilchen des Höchsten Herrn. Die individuelle Seele und der Höchste Herr sind nicht voneinander getrennt, wie es bei verschiedenen materiellen Dingen der Fall ist. Die individuelle Seele ist von Anfang an ein winziges Teilchen. Man sollte nicht den­ken, die individuelle Seele sei, nur weil sie ein Teilchen ist, vom Spirituellen Ganzen abgetrennt. Die Mayavada-Philosophie lehrt, dass zwar das Spirituelle Ganze existiert, dass aber ein Teil davon, jiva genannt, von Illusion gefangen ist. Diese Phi­losophie ist jedoch unannehmbar, denn das Spirituelle kann nicht wie ein Stück Ma­terie geteilt werden. Dieses Teil, der jiva, ist ewig ein Teil. Solange das Höchste Spirituelle Wesen existiert, existiert auch Sein Teil. Solange die Sonne besteht, gibt es auch die Moleküle der Sonnenstrahlen.

Das jiva-Teilchen wird in der vedischen Literatur auf ein Zehntausendstel der Größe einer Haarspitze geschätzt. Es ist daher unendlich klein. Das Höchste Spiri­tuelle Wesen ist unendlich, während das Lebewesen oder die individuelle Seele un­endlich klein ist, obwohl es der Eigenschaft nach vom Höchsten Spirituellen Wesen nicht verschieden ist. Zwei Wörter in diesem Vers sollte man besonders beachten. Das eine ist nirantaram, was soviel bedeutet wie 'nicht-verschieden' oder 'von glei­cher Eigenschaft'. Die individuelle Seele wird hier auch als animanam bezeichnet. Animanam bedeutet "unendlich klein". Das Höchste Spirituelle Wesen ist alldurch­dringend, doch das winzig kleine spirituelle Wesen ist die individuelle Seele. Akhanditam bedeutet nicht genau 'aufgeteilt', sondern 'wesensgemäß immer unendlich klein'. Niemand kann die Molekularteilchen des Sonnenlichts von der Sonne tren­nen, aber gleichzeitig ist das Molekularteilchen des Sonnenlichts nicht so groß wie die Sonne selbst. In ähnlicher Weise ist das Lebewesen von seiner wesensgemäßen Stellung her qualitativ das gleiche wie das Höchste Spirituelle Wesen, doch ist es un­endlich klein.“

5. Īśvara

Īśvara, der Höchste Herr, ist allwissend, während jīva nur begrenztes Wissen besitzt. Beide sind ewige Wesen und besitzen spirituelle Eigenschaften. Sie sind lebendig, besitzen Persönlichkeit und sind sich ihrer Identität bewusst.

Īśvara ist vollkommen unabhängig. Er ist Meister aller Energien. Er inkarniert sich im Universum und kontrolliert es. Er gewährt den spirituellen Seelen, die in materiellen Körpern weilen, sowohl materiellen Genuss als auch endgültige Befreiung. Obwohl eins, manifestiert Er sich in vielen Formen. Diejenigen, die die transzendentale Wissenschaft kennen, erklären, dass Īśvara nicht verschieden ist von Seinen eigenen transzendentalen Formen und Seinen Eigenschaften. Er kann nicht wahrgenommen werden mit materiellen Sinnen, aber durch bhakti, hingebungsvollen Dienst. Er ist unwandelbar. Er offenbart Seine eigene spirituelle, glückselige Form Seinen reinen Geweihten, die Ihm in Hingabe dienen und frei sind von Dualitäten und der Verunreinigung durch die drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur.

Brahman, paramātmā, bhagavan sind drei Aspekte des Höchsten Wesens, der Absoluten Wahrheit. Sie wird in diesen Aspekten erfahren, gemäß dem Wunsch oder der Sicht der Lebewesen.

Brahman ist undifferenziert, ohne Form, ohne Eigenschaften. Brahman ist der unpersönliche Aspekt des Höchsten Wesens, die Ausstrahlung Seines transzendentalen Körpers. Brahman ist eigentlich unbeschreibbar, da ohne Eigenschaften. Brahman-Verwirklichung wird als Befreiung erfahren, als gleißendes Licht und als Einheits-Bewusstsein.

Paramātmā ist die Höchste Seele (Viṣṇu), die Seele des Universums und die Überseele im Herzen eines jeden Lebewesens. Paramātmā begleitet die bedingten Seelen auf ihrer Wanderung in dieser Welt von Körper zu Körper. Er ist Zeuge und Erlaubnisgeber ihrer Taten. „Ich weile im Herzen eines jeden Lebewesens, von mir kommen Erinnerung, Wissen und Vergessen. . . .“, sagt der Höchste Herr in der Bhagavad-Gītā.

„Jedoch gibt es im Körper noch einen anderen, einen transzendentalen Genießer, und dies ist der Herr, der höchste Besitzer, der als Beobachter und Erlaubnisgeber gegenwärtig ist und der als Überseele bezeichnet wird.“

— Bhagavad-Gītā 13.23

„Sie ist die Lichtquelle in allen Leuchtkörpern. Sie befindet sich jenseits der Dunkelheit der Materie und ist unmanifestiert. Sie ist das Wissen, Sie ist der Gegenstand des Wissens und Sie ist das Ziel des Wissens. Sie befindet sich im Herzen eines jeden.“

— Bhagavad-Gītā. 13.18

„Einige erkennen die Überseele in ihrem Innern durch Meditation (dhyāna), andere durch die Entwicklung von Wissen (sankhya yoga) und wieder andere durch Tätigkeiten ohne fruchtbringende Wünsche (karma-yoga).“

— Bhagavad-Gītā 13.25

In den Upanishaden gibt es eine schöne Allegorie für die Situation und die Beziehung von Überseele und Lebewesen. Dort werden paramātmā und jīva mit zwei Vögeln verglichen, die auf einem Baum (dem Körper oder der materiellen Welt) sitzen. Der eine Vogel frisst von den süßen und bitteren Früchten des Baumes – d.h. er genießt und erleidet die angenehmen und unangenehmen Ergebnisse seiner Handlungen (karma) – und der andere Vogel, völlig unangehaftet, beobachtet ihn dabei.

Bhagavan ist die Persönlichkeit Gottes. Bhagavan bedeutet „derjenige, der alle sechs Füllen (Stärke, Schönheit, Ruhm, Reichtum, Wissen und Entsagung) unbegrenzt in Vollkommenheit besitzt“

. Der Bhagavan-Aspekt ist dem Paramātmā- und Brahman-Aspekt übergeordnet.

„Kṛṣṇa, den man als Govinda kennt, ist der höchste Lenker. Er besitzt einen ewigen, glückseligen, spirituellen Körper. Er ist die Ursache aller Ursachen. Er selbst hat keine Ursache.“ (Brahma-Saṃhitā)

„Ich verehre Govinda, den urersten Herrn, dessen Ausstrahlung der Ursprung des undifferenzierten, unteilbaren, unbegrenzten brahman ist, aus dem zahllose materielle Universen mit ihren verschiedenen Reichtümern hervorgehen.“

(Brahma-Saṃhitā, Vers 40)

„O Herr, dass Du ewig manifestiert bist als das unpersönliche brahman, ist weder besonders wunderbar noch sehr bedeutend. Dein wirklich wichtiger Aspekt ist Deine persönliche Gestalt. Durch Deine eigene transzendentale Kraft ist es uns nun ermöglicht, Dich zu sehen. Wie vom Glück wir nun begünstigt sind Dich zu sehen! O Herr, Du bist den Schurken nicht sichtbar, obwohl Du im Herzen eines jeden Lebewesens weilst. Was uns betrifft – wir können Dich von Angesicht zu Angesicht sehen, obwohl Du unbegrenzt bist!“

(Kumaras im Śrīmad-Bhāgavatam)

Die Persönlichkeit Gottes, der Höchste Herr, wirkt aufgrund Seiner transzendentalen Schönheit und Seinen anderen Eigenschaften selbst auf befreite Seelen, die brahman oder paramātmā verwirklicht haben, anziehend. Sein Anblick ist höchst beglückend, sogar noch beglückender ist es, Ihm zu dienen durch sravanam (Hören über den Herrn), kirtanam (Sprechen über den Herrn; Singen Seiner Heiligen Namen, etc.), smaranam (sich an den Herrn erinnern, an Ihn denken), arcana (Verehrung Seiner transzendentalen Bildgestalten in Tempeln) und andere Vorgänge des Dienstes. Solch liebevolle Hingabe ist die Vollkommenheit des Lebens.

Die Gestalt des Herrn kann nur mit spirituellen Sinnen durch die Gnade des Herrn wahrgenommen werden und zwar nur von denjenigen jīvas, die den Einfluss der drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur überwunden haben, allen Lebewesen gleichgesinnt sind und sich im liebevollen Dienst des Höchsten Herrn beschäftigen.

„Durch hingebungsvollen Dienst mag man befähigt werden, die Höchste Persönlichkeit Gottes von Angesicht zu Angesicht zu sehen, Ihn mit dem Geist zu verstehen und Ihn durch Meditation im Herzen wahrzunehmen.“

Vedānta-sutra 3.2.24

Diejenigen, die dem Herrn ununterbrochen hingebungsvollen Dienst darbringen, genießen die größte Glückseligkeit und sind frei von jeglicher Furcht. Im Śrīmad-Bhāgavatam beten die vier Kumaras, die Narayana von Angesicht zu Angesicht sehen konnten:

„O Herr, wir beten, dass Du uns in höllischen Bedingungen des Lebens Geburt nehmen lässt, solange unsere Herzen und unser Geist immer in Deinem Dienst beschäftigt sind, unsere Worte schön sind (durch Sprechen über Deine Herrlichkeit) wie Tulasi-Blätter verschönt werden, wenn sie Deinen Lotosfüßen geopfert werden und solange unsere Ohren mit dem Klang des Singens Deiner transzendentalen Eigenschaften gefüllt sind.“

— Śrīmad-Bhāgavatam 3.15.49)

Mit anderen Worten, den Kumaras ist es egal, ob sie auf himmlischen Planeten, höllischen Planeten oder auf der Erde Geburt nehmen, solange sie sich im hingebungsvollen Dienst zum Herrn beschäftigen können und Ihn nicht vergessen. Hingebungsvoller Dienst zur Höchsten Persönlichkeit Gottes ist selbst in höllischen Umständen erstrebenswerter als Befreiung im unpersönlichen brahman.

Zusammenfassung

Die vedischen Schriften sind die einzige Quelle des Wissens über die Absolute Wahrheit. In keiner Schrift außerhalb der vedischen Kultur wird die Absolute Wahrheit in ihren drei Aspekten erklärt, Wissen über die Persönlichkeit Gottes schon gar nicht. Śrī Kṛṣṇa ist die ursprüngliche Persönlichkeit Gottes (kṛṣṇas tu bhagavan svayam..., īśvarah paramah kṛṣṇah....). Alles geht von Ihm aus und wird von Ihm durchdrungen. In der Bhagavad-Gītā (15.15) sagt der Herr, dass Er das Ziel des vedischen Wissens ist, dass er der Verfasser des Vedānta-sutra ist und dass Er der Kenner der Veden ist. Er ist der Meister zahlloser Energien. Unwissende Religionsphilosophen streiten aufgrund dualistischer Sicht und mangelnder Intelligenz darüber, ob Gott eine Person ist, getrennt von allem, oder ob Er alles ist ohne Persönlichkeit. Aus den vedischen Schriften erfahren wir, dass Bhagavan unbegreiflicherweise gleichzeitig eins mit allem und dennoch verschiedenen von allem ist (acintya bhedabheda tattva). Er allein kann die bedingten Seelen in der materiellen Welt von allen Leiden befreien. Halbgötter wie Brahmā, Śiva, Surya, Indra etc. können den Menschen Segnungen gewähren, durch die sie materielle Vorteile erlangen können, aber nicht endgültige Befreiung und Liebe zu Gott.

Die vielen jīvas (spirituelle Seelen) leben in verschiedenen Bedingungen der Existenz in der materiellen und der spirituellen Welt. Es gibt zwei Arten von jīvas: nitya-siddhas (ewig befreite Seelen) und nitya-bandhas (ewig bedingte Seelen). Jivas, die dem Höchsten Herrn von Anfang an zugeneigt sind (nitya-siddhas), leben ewig in der spirituellen Welt. Jivas, die der Persönlichkeit Gottes abgeneigt sind, sind durch Illusion gebunden und leben in der materiellen Welt. Andere nitya-bandhas wenden sich Ihm irgendwann zu und werden schließlich frei von der Bindung materieller Illusion, die die Form und Eigenschaften des Herrn verbirgt. Durch die Gnade des Herrn werden sie befähigt, die Persönlichkeit Gottes von Angesicht zu Angesicht zu sehen.

Karma ist zeitweilig – sein Anfang kann zwar nicht ausfindig gemacht werden, doch hat es ein Ende, wenn das Lebewesen Befreiung erlangt durch Hingabe zum Höchsten Herrn. Die vier tattvas Īśvara, jīva, prakṛti und kāla dagegen sind ewig.

In den vedischen Schriften heißt es:

nityo nityānāṃ cetanaś cetanānām eko bahunāṃ yo vidadhāti kāmān
„Unter allen ewigen Lebewesen gibt es ein Höchstes Lebewesen. Unter allen bewussten Wesen gibt es ein höchstes bewusstes Wesen, das seit unvordenklichen Zeiten alle Lebewesen erhält.“
— Śvetaśvatara Upaniṣad 6.13
gaur anady anantavati – „Prakṛti ist wie eine Kuh, die niemals geboren wurde und niemals stirbt“
— Culika Upaniṣad, Mantra 5

Die jīvas, prakṛti und kāla sind īśvara untergeordnet und unterliegen Seiner Kontrolle. Dies wird in der Śvetaśvatara Upaniṣad bestätigt:

sa viśva-kṛd viśva-vid ātmā-yonir jñah kāla-karo guṇi sarva-vid yaḥ | pradhana-kṣetrajña-patir guṇesah saṃsāra-mokṣa-sthiti-bandha-hetuh
„Die Höchste Persönlichkeit Gottes ist der Schöpfer der materiellen Universen. Er ist der Schöpfer von allem, was in den Universen existiert. Er ist der Vater aller Lebewesen. Er ist der Schöpfer der Zeit. Er ist voller transzendentaler Tugenden. Er ist allwissend. Er ist der Meister von pradhana, der unmanifestierten materiellen Natur. Er ist der Meister der guṇas, der drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur. Er ist ksetrajnah, der Meister der individuellen spirituellen Seelen, die in materiellen Körpern weilen. Er bindet die bedingten Seelen an die materielle Welt und Er ist auch ihr Befreier.“
— Śvetaśvatara Upaniṣad 6.16