Die Inkarnationen Gottes
Es kommt leider immer wieder vor, dass Personen sich als Avatāras bezeichnen oder von ihren Anhängern als solche gepriesen werden, obwohl sie gewöhnliche Menschen sind. Die Unwissenheit und Dreistigkeit geht sogar soweit, den Begriff avatāra für eine bestimmte Internet-Technologie zu benutzen.
Avatāra bedeutet „jemand, der herabgestiegen ist“ und bezeichnet eine Inkarnation Gottes. Der Höchste Herr erscheint in dieser Welt zu verschiedenen Zeiten zu verschiedenen Zwecken in verschienen Formen. Kṛṣṇadasa Kaviraja definiert im Caitanya-caritāmṛta den Begriff folgendermaßen:
Ein Avatāra, eine Inkarnation Gottes, steigt aus dem Königreich Gottes herab, um sich in der materiellen Welt zu manifestieren. Und diese Form der Persönlichkeit Gottes, die herabsteigt, wird Inkarnation oder Avatāra genannt. Solche Inkarnationen sind Bewohner der spirituellen Welt, des Königreichs Gottes, und wenn sie in die materielle Schöpfung hinabsteigen, werden sie Avatāra genannt.— Caitanya-caritāmṛta, Madhya-līlā 20.263-264
Woran erkennt man einen Avatāra? Man erkennt ihn an seinen übermenschlichen wunderbaren Taten und in bezug auf die offenbarten Schriften. Ein echter Avatāra behauptet nicht ein Avatāra zu sein. Ein gewöhnlicher Mensch mit ein paar außergewöhnlichen Fähigkeiten sollte sich nicht von Dummköpfen, die die Śāstras nicht kennen, als Avatāra verehren lassen.
Im Śrīmad-Bhāgavatam (1.3.26) heißt es:
So wie es unzählige Universen und unzählige Wellen im Ozean gibt, so sind auch die Inkarnationen Gottes unzählbar.
Die vedischen Schriften beschreiben verschiedene Arten von Avatāras. Sechs Arten sind: (1) Puruṣa-Avatāras, (2) Guṇa-Avatāras, (3) Līlā-Avatāras, (4) Yuga-Avatāras, (5) Śaktyavesa-Avatāras, (6) Manvantara-Avatāras.
(1) Puruṣa-Avatāras – Viṣṇu-Inkarnationen (Mahā Viṣṇu, Garbhodakaśāyī Viṣṇu, Kṣīrodakaśāyī Viṣṇu). Mahā Viṣṇu ist eine vollständige Erweiterung einer Erweiterung des urersten Herrn. Es ist eine gigantische Form, aus dessen Poren alle Universen in Samenform hervorgehen, wenn er ausatmet und in den sie wieder eingehen, wenn er einatmet. Er liegt auf seinem Schlangenbett Ananta-śeṣa im Ozean der Ursachen zwischen dem ewigen spirituellen Reich und der materiellen Welt. Er erweitert sich in Garbhodakaśāyī Viṣṇu und geht in jedes Universum als Erhalter ein. Als Kṣīrodakaśāyī Viṣṇu ist er paramātmā (die Überseele) in jedem Lebewesen. Im Satvata-tantra heißt es:
„Viṣṇu hat drei Formen, die man puruṣas nennt. Die erste Form, Mahā-Viṣṇu, ist der Schöpfer der gesamten materiellen Energie (mahat-tattva), die zweite Form ist Garbhodakaśāyī, der in jedem Universum situiert ist und die dritte Form ist Kṣīrodakaśāyī, der im Herzen eines jeden Lebewesens weilt“.
(2) Guṇa-Avatāras – Inkarnationen der Erscheinungsweisen der Natur (Brahmā, Viṣṇu, Śiva). Brahmā beherrscht rajo-guṇa (Schöpfung), Viṣṇu sattva-guṇa (Erhaltung) und Śiva tamo-guṇa (Vernichtung).
(3) Līlā-Avatāras – Inkarnationen, die wunderbare transzendentale Spiele ausführen (z.B. Kurma, Matsya, Varāha, Nṛsiṃha, Vāmana, Rāmacandra, Kṛṣṇa, Buddha, Kalki). In verschiedenen vedischen Schriften werden 25 Līlā-Avatāras beschrieben. Manche dieser Avatāras werden auch Kalpa-Avatāras genannt, da sie einmal je kalpa (ein Tag Brahmās = 4.320.000.000 Jahre) erscheinen.
(4) Yuga-Avatāras – Inkarnationen, die in jedem Zeitalter erscheinen, um das jeweilige yuga-dharma zu etablieren. Im satya-yuga erscheint der Herr in einer vierarmigen Form in einer weißen Hautfarbe, gekleidet in ein Antilopenfell, etc. und lehrt Meditation und religiöse Prinzipien. Im treta-yuga erscheint er in einer vierarmigen Form mit rötlicher Hautfarbe und lehrt die Ausführung von großen Opfern als yuga-dharma. Im dvāpara-yuga erscheint er in einer schwärzlichen Hautfarbe, gekleidet in gelbe Gewänder und geschmückt mit dem Kaustubha-Juwel und lehrt die Verehrung der Lotosfüße Kṛṣṇas als das yuga-dharma. Im kali-yuga erscheint er einmal in einem kalpa in einer gelblichen oder goldenen Hautfarbe und lehrt als ein Geweihter des Herrn kṛṣṇa-nāma-saṅkīrtana, das gemeinsame Singen des mahā-mantra als den religiösen Vorgang, durch den alle Lebewesen Liebe zu Gott und Befreiung erlangen können. Śrī Kṛṣṇa, der Höchste Herr, erschien vor ca. 500 Jahren in Navadvipa, Bengalen, als Śrī Kṛṣṇa Caitanya und etablierte das saṅkīrtana-yajña als das yuga-dharma für dieses Zeitalter.
Im Caitanya-Caritāmṛta, Madhya-līla, Kap. 20 unterweist der Höchste Herr seinen Geweihten Sanātana Goswami über Seine zahllosen Inkarnationen. Es folgt hier ein Auszug.
„O Sanatana, höre nun von Mir über die Yuga-Avataras, die Inkarnationen für die Zeitalter. Zunächst einmal gibt es vier Yugas – Satya-yuga, Treta-yuga, Dvapara-yuga und Kali-yuga.
In den vier Yugas – Satya, Treta, Dvapara und Kali – inkarniert sich der Herr in vier Farben: weiß, rot, schwarz und gelb. Dies sind die Farben der Inkarnationen in den verschiedenen Zeitaltern.“
„Im Satya-yuga erschien der Herr in einem weißen Körper mit vier Armen und verfilztem Haar. Er war in Baumrinde gekleidet und trug ein schwarzes Antilopenfell. Er trug eine heilige Schnur und eine Girlande aus Rudraksa-Perlen. Er trug einen Stab und einen Wassertopf, und Er war ein Brahmacari.
Im Treta-yuga erschien der Herr in einem Körper, der einen rötlichen Farbton und vier Arme hatte. Auf Seinem Unterleib befanden sich drei markante Linien, und Sein Haar war golden. Seine Gestalt manifestierte das vedische Wissen, und Er trug die Symbole eines Opferlöffels, einer Schöpfkelle und so weiter.“
„Als die weiße Inkarnation lehrte der Herr Religion und Meditation. Er gewährte Kardama Muni Segnungen und zeigte auf diese Weise Seine grundlose Barmherzigkeit.“
„Im Satya-yuga waren die Menschen im Allgemeinen im spirituellen Wissen fortgeschritten und konnten sehr leicht über Krsna meditieren. Im Treta-yuga bestand die Hauptpflicht der Menschen darin, große Opfer zu vollziehen. Dies wurde von der Persönlichkeit Gottes in Seiner rötlichen Inkarnation veranlasst.
Im Dvapara-yuga bestand die religiöse Pflicht der Menschen darin, die Lotosfüße Krsnas zu verehren. Deshalb brachte Sri Krsna, der in einem schwärzlichen Körper erschien, die Menschen persönlich dazu, Ihn zu verehren.“
„Im Dvapara-yuga erscheint die Persönlichkeit Gottes in einem schwärzlichen Teint. Er ist in gelbe Gewänder gekleidet, Er trägt Seine eigenen Waffen, und Er ist mit dem Kaustubha-Juwel und Srivatsa geschmückt. So werden Seine Symptome beschrieben.“
„'Ich bringe der Höchsten Persönlichkeit, erweitert als Vasudeva, Sankarsana, Pradyumna und Aniruddha, meine respektvollen Ehrerbietungen dar.'
Durch dieses Mantra verehren die Menschen Sri Krishna im Dvapara-yuga. Im Kali-Yuga besteht die Hauptaufgabe der Menschen darin, gemeinsam den heiligen Namen Krishnas zu chanten.“
„Begleitet von Seinen persönlichen Geweihten, führt Sri Krishna, eine goldene Farbe annehmend, im Kali-Zeitalter das Hari-nama-sankirtana, das gemeinsame Chanten des Hare Krishna Mantras, ein. Auf diese Weise bringt Er der allgemeinen Bevölkerung die Liebe zu Krishna nahe.“
„Sri Krishna, der Sohn von Nanda Maharaja, führt persönlich die Religion des Kali-Zeitalters ein. Er selbst singt und tanzt in ekstatischer Liebe, und so singt die ganze Welt gemeinsam.“
„Wie schon zuvor gesagt, als ich die Inkarnationen für die materiellen Erscheinungsweisen [Guna-avataras] beschrieb, sollte man bedenken, dass auch diese Inkarnationen unbegrenzt sind und dass niemand sie zählen kann."
(5) Śaktyavesa-Avatāras – mit besonderen göttlichen Kräften ausgestattete oder ermächtigte Lebewesen (z.B. Dhanvantari, Kapiladeva, Vedavyāsa, Narada, Buddha, Paraśurāma)
(6) Manvantara-Avatāras – Manu-Inkarnationen. An einem Tag Brahmās (4.320.000.000 Jahre – Brahmās Nacht währt genauso lang) erscheinen 14 Manus und während seines Lebens 504.000 in einem Universum. Es gibt unzählige Universen und alle Universen existieren nur einen Atemzug Mahā-Viṣṇus lang. Mahā-Viṣṇus Atemzüge sind unbegrenzt. Wie man sieht ist es unmöglich auch nur über die Manu-Inkarnationen ausführlich zu schreiben, was zu sprechen von den anderen Inkarnationen.
Alle Avatāras außer Mahā-Viṣṇu, aus dessen Poren unzählige Universen hervorgehen, erscheinen in jedem Universum und noch nicht einmal Ananta-śeṣa, der die Universen auf seinen unzähligen Häuptern trägt und mit seinen unzähligen Mündern ständig die Herrlichkeit Haris, des Höchsten Herrn und seine transzendentalen Taten in der spirituellen und materiellen Welt besingt, ist fähig sie alle zu beschreiben.